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Waffenfähiges Grundschulmaterial



Eines Nachts stehen 17 Kinder einer Grundschulklasse um 2:17 auf, verlassen ihre Heime, laufen in die finstere Nacht hinein und waren nie wieder gesehen. Am folgenden Morgen taucht nur ein Schüler in Justine Gandys (Julia Garner) Klasse auf. Alle anderen Stühle bleiben leer. Die Kleinstadt Maybrook, Pennsylvania ist traumatisiert. Alle suchen verzweifelt nach den Kindern und Antworten. Einige aufgebrachte Eltern sehen sofort eine Schuldige: Lehrerin Gandy. Eine Hexenjagd nimmt ihren Anfang und der Horror einer spießigen Kleinstadtgesellschaft entfaltet sich.

Allen, die Spaß an Thrillern mit Mystery- und Horrorelementen haben, kann ich Weapons nur wärmstens ans Herz legen. Allerdings muss ich eine kleine Warnung aussprechen, weil der Film häufig als reiner Horrorfilm verkauft wird: der Film ist spannend, hier und da auch gruselig, aber Horror ist nur in geringen Dosen darin. Daher können auch Leute, die um Horrorfilme einen großen Bogen machen zugreifen. Sogar ich hab mich im Kino nicht erschrocken. 

Wer nun Lust auf den episodisch gestalteten Film hat, sollte ab hier nicht mehr weiterlesen. Nicht weil es unheimlich gute Twists gäbe, sondern einfach weil man unvorbereitet die Crime-Elemente besser genießen kann. Also husch-husch, ab ins Kino und später weiterlesen! 

Nun, da wir unter uns sind, kann es ans Eingemachte gehen. Im Grunde handelt es sich bei Zach Creggers (Barbarians) vierter Regiearbeit um einen zweigeteilten Film, der als typische Stephen King Geschichte beginnt und als typische Hellboy Story endet. Letztere Referenz bezieht sich auf die Art der Geschichten, die oft in den Comics verwendet werden und die Leser meist in Dunkelheit hüllen, um sie dann mit Mysterien und absolut weirden Einfällen zu überwältigen. Lovecraftsche Monster bleiben also fern. Sorry!

King beschäftigt sich oft mit der Doppelmoral kleinstädtischer Gemeinden und zeigt, wie Mechanismen der Vorverurteilung arbeiten und was sie mit den Menschen machen, die unter ihnen zu leiden haben. Hier setzt auch mein größter Kritikpunkt an. Cregger gibt sich zu Beginn viel Mühe dieses Setup aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln, Schicksalen und sehr persönlichen menschlichen Problemen aufzubauen, löst es aber nicht auf. Wie in so manchem Zombiefilm, in dem die Monster lediglich die Kulisse bilden, um eine gewisse Stimmung aufzubauen, verkommt dieser Aspekt des Films zu einem Gimmick. Leider gelingt es Cregger auch nicht, die beiden Hälften des Films thematisch sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Die Ansätze sind da, aber nicht ausreichend ausgearbeitet. Es reicht nicht die zunächst metaphorische Hexenjagd vom Beginn zu einer im wortwörtlichen Sinn am Ende werden zu lassen. So sehr ich diesen Comic Relief genossen und mehr gelacht habe, als ich hätte sollen, da wäre mehr drin gewesen.

Das titelgebende Thema des Films sind Waffen. Im klassischen Sinne bewaffnet ist hier jedoch nur die Polizei. Es wird daher schon nach sehr kurzer Zeit klar, dass der Mensch die Waffe ist bzw weaponized wird. Das Verschwinden der Kinder lässt die Eltern derart aggressiv werden, dass es zunächst scheint, sie könnten mit dem Titel gemeint sein. Verwandeln sich die Eltern denn nicht in Waffen, die sich gegen das erstbeste Ziel richten, das ihnen in den Sinn kommt? Dem entgegen steht die Definition einer Waffe. Dabei handelt es sich um Gegenstände, die zur Ausübung von Gewalt geschaffen werden - sei es lediglich Einschüchterung oder das konkrete Zufügen von physischem Schaden. Waffen haben keinen eigenen Willen. Sie richten sich nicht von selbst auf jemand anderen, sondern werden von einer Person geführt.

Im Verlauf zeigt sich, dass Hexe Gladys einzelne Menschen gezielt in Waffen verwandeln und auf jemanden hetzen kann. Am Ende richten sich die Waffen, die die Hexe erschuf, gemäß Genrekonventionen gegen sie selbst und vernichten sie. Hätte Gladys bereits zu Anfang die Eltern gezielt manipuliert, um der Lehrerin Schaden zuzufügen, hätte dieser Aspekt wieder thematisch gepasst. So ist Justine Gandy aber lediglich Kollateralschaden. In der ersten Hälfte des Films fungiert der Titel daher eher als Roter Hering, während das Thema erst in der zweiten Hälfte konkrete Gestalt annimmt. Daher läuft eine Zäsur mitten durch den Film, die auch eine tonale Verschiebung mit sich bringt. Dabei wird der Cut immer wieder kurz angedeutet bevor es zur nächsten Maybrook Geschichte geht.

Im King-Part von Weapons stellen die Bürger von Maybrook vornehmlich für sich selbst eine Gefahr dar. Sei es Lehrerin Gandy, die immer mehr dem Alkohol verfällt. Sei es Vater Archer Graff (Josh Brolin), der sich in seiner Trauer kaum noch im Griff hat. Sei es Polizist Morgan (Alden Ehrenreich), der in einer unglücklichen Beziehung steckt und permanente Selbstsabotage betreibt. Sei es der Drogenabhängige James, der sich auf der Suche nach Geld für den nächsten Trip immer tiefer in die Scheiße reitet. Allen Figuren ist gemein, dass sie so mit sich selbst beschäftigt sind, dass sie keinen Blick für die Gefahr haben, die sich vor ihnen entwickelt: Hexe Gladys, die sich wie ein Parasit im Haus ihrer Nichte festsetzt und sich von der Lebenskraft ihrer Opfer nährt. Erst als sich die Lage zuspitzt und man das Problem nicht mehr ignorieren kann, arbeitet man zusammen, um die Gefahr zu bannen. 

Das Thema Parasit wird übrigens durch die Fernsehsendung über den Cordyceps-Pilz, der Ameisen befällt, zur Sprache gebracht. Soforn das kein entkoppelter Flavour sein soll, muss dieser Abschnitt also essentiell zur Deutung der Handlung sein.

Ein Thema, das gut zur Geltung kommt und allen Figuren ebenfalls gemein ist: Angst vor Kontrollverlust und das Bedürfnis sie wiederzuerlangen. Ein paar Figuren gelingt das, einigen nicht, wie der Bodycount am Ende zeigt. Leider steht das Thema ein wenig einsam mit sich selbst im Raum herum und versucht erfolglos an den Rest Anschluss zu finden. Warum? Darum:

Horrorfilme arbeiten auf der Metaebene oft mit Gesellschaftskritik. Doch wie sollte diese hier lauten? Vertrau nicht leichtgläubig den Menschen, die du zu kennen glaubst? Lass dich nicht manipulieren und wie eine hirnlose Waffe gegen andere oder gar dich selbst einsetzen? 

In einer Traumsequenz wird ein überdimensioniertes M16 eingeblendet, das nochmal das Thema Waffen in Erinnerung bringen soll und im Gegensatz zu einer Polizeifaustwaffe ganz klar einen kriegerischen Bezug darstellt. Krieg führen Regierungen. 

Ja, man könnte auch den unterschwelligen Krieg unter Bürgern in einer Kleinstadt als Analogie heranziehen. Könnte man, wenn der Film das auch so zeigen würde. Stattdessen wird es nur kurz angedeutet, um sofort wieder fallen gelassen zu werden. Die Hexenjagd auf Lehrerin Gandy ist zu Beginn ein großes Thema, das sich jedoch mit Episode 2 wieder verliert. Daher würde sich die Waffe als Analogie zum Krieg zwischen Staaten am ehesten anbieten.

Allerdings wird kein Anhaltspunkt dafür gegeben, dass Hexe Gladys eine Metapher für die Regierung darstellen könnte. Damit fehlt der entscheidende Bezugspunkt, der eine Brücke zur Propaganda als Mittel einer quasi parasitären Hirnwäsche schlagen würde. 

Durch eine solche Brücke wäre auch der erste Teil des Films aufgewertet worden. Demagogen kommt es nämlich sehr zupass, wenn sich Bürger mit ihren piefigen kleinen Allerweltsproblemen beschäftigen, anstatt wahrzunehmen wie sie manipuliert werden. Propaganda wirkt unterschwellig, schleicht sich wie ein Parasit in die Köpfe der Menschen und verändert ihr Verhalten zugunsten der Regierung. So wie Cordyzeps das Verhalten der Ameisen zu seinem Vorteil manipuliert. Was haben Regierungen davon?Im Bezug zum Thema Waffen könnte es bedeuten, dass das Volk in kriegsbereite Stimmung versetzt werden soll. Das wäre ein richtig cleverer Zug des Autoren Cregger gewesen. Das Ziel einer solchen Handlung wäre die Wiedererlangung der Kontrolle, also der Selbstbestimmung, und Widerstand gegen das Lügenkonstrukt der Propaganda. 

Da Hexe Gladys am Ende aber lediglich eine Hexe ist und nicht mehr, bleibt das Bild der Waffe ganz profan eine M16 ohne Subtext. Das Bild des Parasiten steht daneben und bleibt nur eine schwache Analogie für das Vorgehen der Hexe, aber ohne inhaltlichen Tiefgang. Diese Bilder sollen bloß eine unheimliche Stimmung bei den Zuschauenden hervorrufen. An dem Punkt funktioniert der Film leider nur wie eine Geisterbahn. Eine sehr kurzweilige zugegeben, aber auch nicht mehr.

Daher kreide ich Cregger an, dass er die Hälften des Films unzureichend miteinander verknüpft hat.

Am Ende bleibt ein unglaublich spannender, sehr unterhaltsamer Film, der fantastisch besetzt und toll fotografiert wurde. Da hier die sprichwörtliche Zigarre jedoch lediglich eine Zigarre ist, bleiben Weapons höhere Weihen verwehrt. 

P.S.: Ein Link für die Symbolik im Film, die ebenfalls nur Gimmickcharakter hat.

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