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Greenscreen, ick hör dir trapsen!

In den USofA passiert etwa total Unerwartetes: der ehemalige Actionfilmstar Will Derringer (John Cena) wird neuer Präsident. Mit ihm übernimmt jemand das Amt des POTUS, der dieser Aufgabe eher nicht würdig ist. Impulsiv, unsicher und unbeholfen in öffentlichen Auftritten, legt er sich sogleich mit seinem Kollegen Sam Clarke (Idris Elba) an, dem Premier des Vereinigten Königreiches. 

Die PR-Atzen müssen den Schlamassel also wieder Kitten. Da es um die NATO seit einem Geheimdienst-Leak nicht gut bestellt ist, müssen die beiden zeigen, dass man zusammenarbeiten kann und wird. Also werden sie in die Air Force One verfrachtet, mit der es gemeinsam zum Gipfeltreffen nach Triest geht. 

Es kommt, wie es kommen muss: Terroristen haben sich als Flugbegleiter getarnt auf die Air Force One geschmuggelt und bringen sie zum Absturz. Wenn das wirklich so einfach ist, weckt das in mir geradezu Hoffnung für die Zukunft. Ähm... hab ich das gerade laut gesagt? Egal! Clarke und Derringer springen im letzten Moment mit Fallschirmen ab und landen in Belarus, also mitten in NATO Feindesland. Was folgt ist ein Roadtrip, der die Staatsoberhäupter über Warschau (Polen) und Zadar (Kroatien) führt, bis es endlich nach Triest in Italien geht. Dort steht die NATO kurz vor ihrer Auflösung. Verteten wird der totgeglaubte Derringer von der Vizepräsidentin (Carla Gugino), die das Bündnis offensichtlich ziemlich doof findet. - Da fragt man sich doch, wer der Kopf der Terrorbande ist. Zwinker-Zwonki!

Zurück zur Reiseroute. Die ergibt selbst dann keinen Sinn, wenn man die Europakarte nur grob kennt. Die Maschine wäre in der echten Welt auf kürzestem Weg nach Italien geflogen - also ausschließlich über verbündete westeuropäische Staaten hinweg. Können wir hier etwa eine Geographieschwäche der Autoren attestieren? USA-Hasser dürfen jetzt die Gelegenheit nutzen, um über schlechte Allgemeinbildung zu lästern. Billiger Gag, aber das nur am Rande. Da der Regisseur russischer Herkunft ist, glaub ich nicht, dass dieser Blödsinn versehentlich im Streifen gelandet ist. 

Eine Entführung der Maschine vielleicht? Die könnte einen solch abseitigen Kurs erklären. Zum einen wird das im Film nicht gezeigt und zum anderen hätte das keinen Sinn ergeben. Die Verletzung des Luftraums mehrerer Staaten wäre auffällig geworden und man hätte eingegriffen. 

An günstigen Drehorten kann es jedenfalls nicht gelegen haben, da in England, Frankreich, Italien und Serbien gefilmt wurde. Die wirklich günstigen Studios stehen jedoch im ehemaligen Ostblock.

Eine andere, schlichtere Theorie: das passiert so, weil die Autoren das so wollen. 

Kann ja nicht sein, dass man in Freundesland notlandet und sich Gläschen Prosecco süffelnd an achtzig weiteren Filmminuten vorbei zum Abspann chauffieren lässt. Zur Spannungssimulation müssen die Männer verloren wirken. Allein, getrennt von allen Freunden und Alliierten. Spätestens in Polen verpufft der Effekt zwar schon wieder, aber mit etwas Glück merken die Zuschauer das nicht. Man hält uns für doof oder unaufmerksam. Vermutlich beides.

Über die Strecke von etwa 1.600 km Luftlinie, die die Heads of State in Windeseile zurücklegen müssen, reden wir besser erst gar nicht. Dass nun ausgerechnet der POTUS zur Rettung der NATO herbeieilt mag man entweder als positive Botschaft oder als den Treppenwitz wahrnehmen, zu dem er durch die realen Ereignisse inzwischen geworden ist.

Nun sind wir ja nicht hier, weil wir von Actionfilmen primär einen sinnvoll ausgearbeiteten Plot erwarten, sondern gut gemachte Action. Frohe Kunde an der Stelle: die schaut meist wirklich nett bis gut aus. Solide Standardkost, die sich keine großen Experimente traut, aber funktioniert. Vor allem wenn praktische Effekte zum Einsatz kommen sieht man wo das Budget reingeflossen ist. Im krassen Gegensatz dazu stehen fast alle Einstellungen, in denen CGI zum Einsatz kommt. Dann wirds hübsch hässlich. Teilweise hatte ich den Eindruck, dass diese in einer deutlich kleinerer Auflösung gerendert wurden. Der optische Kontrast der Greenscreen Einstellungen zu den live gedrehten Sequenzen ist stark ausgeprägt. So stark, dass es mich enorm gestört hat. 

Dass die Actionsequenzen insgesamt nicht enttäuschen werden, war spätestens klar, als Ilya Naishuller den Regiestuhl übernahm. Zuvor hat er Hardcore Henry und Nobody gedreht, die beide im Übrigen deutlich hochwertiger sind. Leider sind aktuell noch keine Zahlen zum Budget öffentlich zugänglich. Bei der teils schrottreifen Effektqualität würde ich aber auf ein Budget deutlich jenseits der 100 Mio US Dollar tippen. Meine Indikatoren für die Einschätzung: reiner Streamerfim, billiger Plastelook im Vergleich zu ähnlichen Produktionen der letzten Jahre. Insgesamt würde ich jedem raten, der Naishullers erste Filme noch nicht kennt, diese Heads of State vorzuziehen.

Die Comedy funktioniert hauptsächlich aus der Figurenkonstellation heraus. Hier wird der Klassiker aufgeboten: zwei Charaktere, die so gegensätzlich wie möglich sind, werden in eine Handlung voller stressiger Situationen geworfen. Da schreiben sich die Gags fast von alleine. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die von besonderer Qualität sein müssen. Hier retten die Schauspieler viele maue Sprüche gerade so noch über die Ziellinie, denn zum Glück stimmt die Chemie zwischen Elba und Cena. 

Allerdings hab ich John Cena schon zu oft in Rollen wie der des Will Derringer gesehen. Ja, es ist die Art von Rolle, die ihm besonders gut liegt. Es wirkt im zigfachen Aufguss halt nicht mehr frisch und beginnt mich zu langweilen. Ich hoffe, dass Cena sich langfristig etwas mehr Bandbreite zutraut, um nicht am Ende ein Typecastingopfer wie so viele andere zu werden. Es wäre für beide Darsteller eine größere Herausforderung gewesen, hätte man ihre Charaktere vom Typ her vertauscht angelegt. Raus aus der Komfortzone!

Wenn man Cena in einem besseren Film dieser Art sehen möchte, kann ich Freelance empfehlen. Die kleine 40 Mio US Dollarproduktion schaut besser aus und weiß immerhin ein wenig mit Erwartungen zu spielen. Regisseur Pierre Morel hat auch den ersten Taken und From Paris With Love inszeniert. 

Die weibliche Protagonistin ist eine angenehme Ergänzung zu Derringer und Clarke. Man begeht hier nicht wie so oft in der Vergangenheit den Fehler einen nervigen Girl-Boss ins Skript zu schreiben, sondern einen sympathischen Charakter. Priyanka Chopra macht als MI6 Agentin Noel Bisset eine gute Figur und kann Ärsche treten ohne neunmalklug rumzuzicken und den Dreibeinen permanent zu erklären wie die Welt funktioniert. 

Für mich überraschend existiert die zu Beginn des Films gezeigte Tomatina Tradition tatsächlich. An der Stelle hat Ilya seinen Lehrauftrag erfüllt und mir eine weitere Info zum Klugscheißen in den Kopf gesetzt. Merci.

Am Ende ist Heads of State leider nur ein gerade noch durchschnittlicher Film geworden, mit dem man zwar seinen Spaß haben kann, der aber schneller vergessen sein wird als man ... Äh...worum gings nochmal?


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