Wenn ein Film halbwegs erfolgreich mit einem neuen oder lange nicht mehr genutzten Plotkonzept im Kino läuft, kann man Wetten abschließen wie lange es dauern wird, bis die Trittbrettfahrer und Rip-Offer aus ihren Löchern gekrochen kommen.
So geschehen mit Bullet Train von David Leitch.
James Madigan gibt sich in seinem 20 Mio US $ teuren Regiedebüt Fight or Flight sichtlich Mühe aus einem Drehbuch, das aus zusammengeklaubten Referenzen zu Last Boy Scout, Crank und Bullet Train und mäßigen eigenen Ideen besteht, einen halbwegs erträglichen Film zu erschaffen. Am Ende scheitert es dann mit Ansage an ebenjenem Drehbuch. Keiner der Beteiligten wird sagen können, dass man ernsthaft dachte, einen guten Film daraus machen zu können.
Lucas Reyes (Josh Hartnett), ehemaliger Secret Service Agent, ist seit Jahren auf der Flucht und hat sich dem Alkohol ergeben, als er von einer Bekannten mit einem Angebot gelockt wird. Er soll eine Agentin/Terroristin/Aktivistin unter dem Decknamen Ghost auf einem Flug nach Übersee ausfindig machen und festnehmen. Dann würden ihm seine Verfehlungen verziehen und er könne nach Hause kommen.
Wenn man sich an Bullet Train zurückerinnert, sind folgende Faktoren hauptverantwortlich dafür, dass dieser Film so viel Spaß gemacht hat: sehr gut inszenierte, abwechslungsreiche Action in einem unverbrauchten Setting, quirlige, exzentrische Charaktere, beinahe tarantinoeske Dialoge und ein vortreffliches komödiantisches Timing. Hinzu kam noch ein Look, der in vorwiegend poppigen Farben und starken Hell/Dunkel-Kontrasten gehalten war. Dass die brutale Action durch Zugabteile getrennt von den Zivilisten stattfand, war dem Suspension of Disbelief förderlich. Man konnte als Zuschauer leichter akzeptieren, dass Personal und andere Fahrgäste nicht sofort alarmiert waren.
In Fight or Flight hingegen müsste allerspätestens nach zwanzig Minuten der gesamte Flieger in Aufruhr sein. Zudem pfeift man auf jeglichen Spannungsaufbau. Wann werden die gegnerischen Attentäter enttart sein? Bemerken die Bösen wiederum, dass sie enttarnt wurden? Läuft der Held in die Falle? Wer ist Ghost? Wird die Auftraggeberin den Helden am Ende hintergehen?
Nun... auch das wissen wir bereits wenige Minuten nach Besteigen des Fliegers. Quirlige Charaktere? Fehlanzeige. Josh Hartnett gibt hier wirklich alles, ebenso wie einige der Nebendarsteller, aber das Drehbuch gibt ihnen lediglich dröge Zeilen aufzusagen. Gags bzw Versuche lustige Dinge zu sagen, gibt es auch hier, jedoch leidet der Drehbuchautor an mangelndem Wissen über Aufbau und Funktionsweise der Kunst des Humors. Auch dieses Handwerk will gelernt sein.
Die Action ist wirklich nett gemacht, wenngleich nach einem Cut gern mal vergessen wird, was man zuvor noch gezeigt hat. Das Loch in der Bordwand beispielsweise verschwindet quasi, als die Piloten ein wenig die Höhe verringern. Allerdings hat mich das weniger gestört, da diese Szenen schön albern aufgezogenen wurden. Im krassen Kontrast dazu steht nahezu alles, was dazwischen passiert. Hier gibt man sich über weite Strecken betont ernst, um zu simulieren es ginge tatsächlich um etwas. Leider führt das zu einer erzählerischen Dissonanz, die sich kaum auflösen lässt. Jedenfalls nicht vom unfähigen Autoren dieses Drehbuchs. Einfach drei Attentäterinnen im 70er-Shaw-Brothers-Outfit in die Szene
zu werfen, ist so random wie unlustig, wenn der Rest des Films deutlich ernster genommen werden will.
Dass die obligatorischen Twists, ohne die man heute scheinbar kein Drehbuch verkaufen kann, von Weitem kommen sieht und so überraschend sind wie eine Hostie beim Abendmahl, sei nur nebenbei erwähnt.
Würde der Film vorwiegend aus Action bestehen, könnte ich leichter über solche Schwächen hinwegsehen. Leider langweilt Fight or Flight für die überwiegende Spieldauer aggressiv die Zuschauer. Statt hundert Minuten Laufzeit hätten es auch 80 getan. Wenn überhaupt. Das Elend wäre schneller vorbeigewesen und sicherlich auch eine ganze Ecke weniger dumm.
Auch anhand der Farbgebung merkt man welcher Film das primäre Vorbild war. Das Endergebnis mag dem Budget geschuldet sein, vermutlich aber auch mangelnder Erfahrung bzgl. Ausleuchtung und Nachbearbeitung des Materials in der Postproduktion. Optisch landet Fight or Flight nämlich irgendwo zwischen Glücksrad, Der Preis ist heiß und Sitcom.
tl;dr
Fight or Flight ist ein Actioncomedyversuch unter Androhung einer Fortsetzung, die hoffentlich nie erscheinen wird. Gefilmt und produziert wurde diese cineastische Beleidigung der Zuschauerintelligenz für folgende Zielgruppe: Second-Screen-Bois, die ihre Action gern edgy und blutig haben, aber sobald menschliche Interaktion jenseits des Tötens gezeigt wird ohnehin sofort zu Insta, TikTok und Konsorten wechseln und somit nicht Gefahr laufen vom Blödsinn behelligt zu werden. Diese werden sich ausschließlich an die Action zurückerinnern und begeistert MEISTERWERK! ausrufen.
Ich beneide sie.
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