Bist du unzufrieden mit deinem Leben? Alt, verbraucht und schon gut abgehangen? Brennt dein Anblick wie Rauch in den Augen? Heulst du insgeheim deinem unerfahrenen, aber hübscheren Vergangenheits-Ich hinterher? In dem Fall haben wir genau das Richtige für dich! Heißer Shice, der einmal injiziert, ein Wunder bewirkt.
Elisabeth Sparkle (Demi Moore, Ghost, G.I. Jane) glaubt sie habe sich in eine Netzhautpeitsche verwandelt und würde dringend ein solches Wunder benötigen. Das ist wie mit den Dünnen, die sich für die Dicksten im Raum halten. Die Schauspielerin ist seit Jahrzehnten im Geschäft und beätigt sich aktuell als TV-Fitnesscoach. Elisabeth gilt quasi als Legende in ihrem Fach. Doch der unbarmherzige Zahn der Zeit nagt an jedem. Weil Einschaltquoten leider die einzig gültige Metrik im Biz darstellen, schiebt ihr Produzent (Dennis Quaid, Enemy Mine, Reise ins Ich) ihr Format aufs Abstellgleis.
Nachvollziehbar, dass sie mächtig Frust schiebt, als die Einladung, am Wunder der Substance teilhaben zu dürfen, bei ihr eintrudelt. Zunächst skeptisch, aber auch neugierig, will sie mehr erfahren. Ist das ein Scam? Ist es echt? Falls ja, darf sie diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Doch das angepriesene Wunder fordert einen hohen Preis. Wie beim Mogwai gilt es ein paar Regeln zu beachten: Vergiss niemals deinem anderen Ich die Kanüle mit der Nahrung zu legen! Alle sieben Tage ist die jeweils andere Version deiner Selbst aktiv. Dann muss gewechselt werden - Ohne Ausnahme! Und nicht vergessen: ihr seid beide zusammen eine Person!
Gesagt, getan. Elisabeth spritzt sich die Substanz, woraufhin ihr Sue (Margaret Qualley, Nice Guys, Once Upon A Time In Hollywood) aus dem Körper hervorbricht. Sie selbst liegt für die kommenden sieben Tage komatös auf dem Fliesenboden ihres Bades. Sue ist jünger und attraktiver, aber ist sie auch eine bessere Version von Elisabeth? Für die kommenden sieben Tage ist sie jedenfalls am Drücker und beginnt Elisabeths Leben zu übernehmen.
Damit ist die gesamte Prämisse und ein Großteil der Handlung von The Substance bereits im Trailer umrissen. Coralie Fargeats (Revenge) Body-Horror-Streifen ist eine bitterböse, satirische Abrechnung mit dem Fetisch der Selbstoptimierung. Es bedarf keines Hellsehers, um sich ausmalen zu können, dass das nur in Tränen enden kann.
Mit einem vornehmlich weiblichen Cast, einer Regisseurin und dem im Trailer gesetzten Fokus könnte man schon im Vorfeld intuitiv davon ausgehen, dass wir es hier mit einem feministischen Film zu tun haben. Das würde ich nicht grundsätzlich verneinen. Allerdings wendet sich The Substance nicht ausschließlich an Frauen, da die angesprochenen Themen beide Geschlechter betreffen.
Gestützt wird diese Vermutung, wenn man die Darstellung der meisten Männer in The Substance betrachtet. Ihr Verhalten gegenüber Sue bzw. Elisabeth rangiert von widerwärtig toxisch bis anbiedernd oberflächlich. In der Kommunikation mit einer herrlich absurden Selbstüberschätzung gesegnet, stellen diese Dreibeine mehr Karikatur als das allgegenwärtig bedrohliche Patriarchat dar.
Jeder hat schon diesen Typus Mann selbst erlebt. Sei es auf Parties, in der Disco, in Vereinen oder in Meetings der Firma. Vollidioten, die sich für nichts zu schade sind und das Maul derart aufreißen, dass sie nicht mal merken, wie alle Fremdschamgrenzen fallen. Darüber kann man sich Recht lustig machen und das macht Fargeat hier auch sehr treffend. Als richtige Gegenspieler fallen die Männer damit aber ehrlich gesagt aus. Sie dienen nicht als evil Mastermind dem Spannungsaufbau, sondern fungieren als plakativer Spiegel der Gesellschaft.
Schönheitsideale befinden sich in permanentem Wandel. Innerhalb der Gesellschaft herrschen immer gewisse Erwartungshaltungen bezüglich des Aussehens vor. Das generiert bei den Bürgern - je nach Resilienz der einzelnen Person - Leidendsdruck, der im schlimmsten Fall in einen Selbstoptimierungswahn führen kann. Oft wird dieser durch Social Media, Boulevard-Blättern und sonstigen Medien befeuert. Zu operierten und/oder trainierten Menschen, die sich beispielsweise beim Workout in Gyms zeigen, kommen dann noch Apps hinzu, die in Echtzeit das eigene Aussehen in Streams "optimieren". Es verwundert nicht, dass Schönheits-OPs und privates Doping ein Allzeithoch feiern.
Fargeat ist jedoch auch so ehrlich und tut nicht so als haben wir es mit einem rein weibliche Problem zu tun. Auch die Männer werden durch zwei Nebenfiguren, die Teil des Experiments sind, zumindest mitgedacht. Allerdings muss ich zugeben, dass Frauen sicherlich viel mehr unter den Erwartungshaltungen bezüglich Ihres Erscheinungsbildes zu leiden haben als die Dudes unter den Homo Sapiens.
Insgesamt bildet all das in The Substance lediglich das Milieu, damit sich die Handlung entspinnen kann. Denn weder erforscht der Film die Ursachen noch die Folgen innerhalb der Gesellschaft oder sagt ihnen den Kampf an. An der Stelle bleibt der Film so oberflächlich wie die handlungstragenden Figuren. Sue, Elisabeths Abspaltung, stellt sich nämlich nicht gegen die Ausbeutung der gesunden, jungen Körper oder kritisiert den Umgang mit dem Altern. Nein. Sie ist wie Elisabeth eine bereitwillige Nutznießerin der Oberflächlichkeiten. Hübsch wie sie ist, zieht sie nur Vorteile aus dem primitiven Verhalten der Männer um sich herum. Das Ergebnis erinnert daher eher an zwei Parasiten, die sich voneinander nähren.
Doch wie kann man aus dem diesem ungesunden Verhältnis von Ausnutzen und Ausgenutzt werden ausbrechen? Warum man das sollte, zeigt das Verhalten von Sue und Elisabeth. Würde sich Elisabeth selbst akzeptieren, müsste sie sich nicht auf so ein dummes Experiment einlassen. Stattdessen begibt sie sich aus Selbstmitleid und weil sie dem Wahn der Selbstoptimierung verfallen ist, auf eine selbstzerstörerische Reise, in der eine Mischung aus Enttäuschungen, Neid und Selbsthass der Treibstoff der Entwicklungen sein werden.
Wahre Schönheit kommt von Innen, schwafelt der Volksmund bekanntermaßen, Trostpreise verteilend an die, die durch das gerade geltenden Raster der Schönheitsideale gefallen sind. Anders herum wird jedoch ein Schuh daraus. Auch wahre Hässlichkeit kommt von Innen. Elisabeth erhofft sich einen Aufschub, um noch länger am System teilhaben zu können, das sie eben erst verstoßen hat und das sie insgeheim nicht leiden kann. Was sie jedoch nicht ahnt, ist, dass sie eine hübschere, jüngere Kopie von sich bekommt, die ihr auch im Charakter gleichen könnte. Und wer ist besser geeignet unser größter Feind zu sein als wir selbst?
Dass es ihr an Selbstachtung mangelt sieht man direkt im Anschluss an Sues Entstehung. Sie lässt Elisabeth achtlos auf dem Badezimmerboden liegen. Später schleift sie sie in einen dunklen Nebenraum, wo sie ohne Decke und ohne Matratze, ebenfalls schutzlos auf dem Boden liegt - aber nun eher wie in einem Grab. Dieser Raum ist einer der wenigen nicht grell ausgeleuchteten Sets im Film, was diesen Eindruck noch einmal verstärkt. Wir versuchen nach Außen hin die beste Version unserer Selbst zu präsentieren und beten, dass niemand den Rest sehen wird, den wir zu verbergen hoffen. Sue verachtet Elisabeth für ihr Alter und dass die Situation sie ausbremst. Elisabeth wiederum beneidet Sue um ihre Möglichkeiten und hasst sie für ihre Selbstsüchtigkeit. Kein Wunder, dass Elisabeth Sue nicht besser behandelt, sobald sie wieder in ihrer aktiven Phase angekommen ist.
So wie bei Gremlins die Regeln des Mogwai gebrochen werden, ist es in The Substance selbstredend nur eine Frage der Zeit, bis das ebenfalls geschieht. Sue stellt ihre Bedürfnisse über die von Elisabeth und beginnt ihre Wachphasen zu verlängern. Das führt wiederum in eine Spirale von eskalierenden Ereignissen, aus der keine der beiden Figuren ausbrechen kann oder will. Es fällt daher schwer Elisabeth oder Sue zu bemitleiden. Beide sind Opfer und Täter des jeweils anderen.
In einer Begegnung mit dem alten männlichen Pendant eines anderen Experimentteilnehmers, wird angedeutet, dass es ihm wie Elisabeth ergeht. Scheinbar lockt das Experiment entweder den gleichen Persönlichkeitstyp an oder die jüngeren Versionen hassen generell ihre alten Originale. Jedenfalls unterstreicht das meine Vermutung, dass Fargeat nicht ein geschlechterspezifisches Problem im Sinn hatte, als sie den Film konzipierte.
Die Umsetzung von The Substance finde ich gelungen. Die meisten Räume wirken wie Sets, die für einen anstehenden Dreh vorbereitet wurden und strahlen eine gewisse Sterilität aus. Diese Räume scheinen außerhalb der Realität zu existieren. Aufgrund des Grundthemas werden alle Szenen von einer starken Körperlichkeit begleitet. Dass sich Fargeat hier der ästhetischen Mittel bedient, die sonst auch genutzt werden, um sexuell aufgeladene Bilder zu generieren, finde ich nur folgerichtig. Im Gegensatz zu anderen Kritikern sehe ich kein Problem damit, dass gerade in den innerhalb der Filmwelt kommerziell produzierten Bildern ständig auf Arsch, Schritt und Brust gefilmt wird oder Posen eingenommen werden, die Sexstellungen nachempfunden sind. Ironisch gebrochen wird das durch die Andeutung, dass die Kameras am Set wie Penisse auf Schritthöhe montiert wurden.
Die Sets sind in aller Regel derart stark ausgeleuchtet, dass man meinen könnte, alles strahle aus sich heraus. Keine Falte, keine Riefe oder Delle kann sich so vor der Kamera verstecken. Im Gegenteil, werden diese in diesem Licht sogar überbetont. Entsprechend ist Elisabeth dazu verdammt sich selbst unerbittlich vor dem Spiegel zu be- und abzuwerten. Wir haben es mit einem Body-Horror-Film zu tun, der sich allein schon deshalb mit sehr körperlichen Darstellungen beschäftigen muss. Bei Elisabeths Wandlung im Laufe des Films musste ich immer wieder an Cronenbergs Die Fliege denken - nur dass dessen Widerlichkeit nicht im Ansatz erreicht wird.
Dennoch kann man die Masken und Prosthetiken im Film nur als gelungen bezeichnen. Insgesamt sieht der 18 Mio US Dollar teure Titel sehr hochwertig aus. Die Schauspieler, insbesondere Demi Moore, glänzen in ihren Rollen.
Wenn ich einen wirklichen Kritikpunkt anzubringen hätte, dann wäre es die Laufzeit. Es verwundert, warum 141 Minuten benötigt werden das bisschen an Handlung zu vermitteln. Ja, der Film zieht sich nicht wirklich, aber die Erzählung hätte in kompakterer Form noch deutlich intensiver gewirkt. Allein schon die letzten zehn Minuten, die als Finale nach dem eigentlichen Finale des Films angefügt werden, sind überflüssig. Notdürftig wird hier nochmal eine halbherzige Kritik am notgeilen Publikum angefügt, die nicht so Recht zum Rest des Films passen will. Das Kreaturendesign an dieser Stelle ist wundervoll eklig geworden, aber die Zeit und das Geld hätte man sich sparen können. Es wäre durchaus möglich gewesen den Plot in 100-110 Minutenerzählen zu können, ohne den Sinn zu entstellen.

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