Wir schreiben das Jahr 1944. Der Zweite Weltkrieg war in vollem Gange.
Noch jedenfalls. Und um es kurz zu machen: für die Achsenmächte lief es
nicht besonders gut. Dass Hitler noch eine Chance hatte das Ruder
herumzureißen, war mehr als fraglich.
Dies war die Stunde einiger hochrangiger Nazis, die dem Okkultismus
anhingen. Sie stellten allerlei absurde Theorien auf und führten
verzweifelte Experimente durch, die helfen sollten wider besseren
Wissens den Endsieg zu erringen. Eines Tages baten sie Grigori
Jefimowitsch Rasputin um Hilfe. Der russische Mystiker hatte eigene
Pläne, gab sich aber willfährig, um an die Ressourcen der Faschisten zu
kommen. Mit ihren Mitteln beschwor er ein Monster in der Gestalt des
Leibhaftigen. Zumindest in einer Version wie sie mit zwei Jahren
ausgesehen haben könnte. Allerdings gelang es dem Dämon, sich der
Kontrolle seines Meisters zu entziehen und wurde stattdessen von
Professor Trevor Bruttenholm aufgefunden. Der Amerikaner nahm ihn bei
sich auf und zog ihn wie einen Sohn groß.
Aufgrund seines markanten Aussehens hatte das aufgeweckte Kerlchen, das
entgegen gängiger Klischees nicht aufs Blutvergießen aus war, schnell
den Namen Hellboy weg. Binnen weniger Jahre wuchs er zu einem
stattlichen Mann heran und wurde zum Aushängeschild der noch jungen
Behörde zur Untersuchung und Abwehr paranormaler Phänomene (B.U.A.P.).
Im Auftrag der B.U.A.P. reist Hellboy durch die Weltgeschichte und
erteilt mit Vorliebe all Jenen eine Tracht Prügel, die ihm einreden
wollen, er hieße in Wirklichkeit Anung un Rama, Tier der Apokalypse, und
habe ein unausweichliches Schicksal zu erfüllen...
"Ich
habe Geschehnisse in Gang gesetzt, die man nicht mehr aufhalten oder
rückgängig machen kann. Ich habe Herrn Hitler ein Wunder versprochen.
Ich habe eins vollbracht."
- Rasputin
Mehr als zwei Dekaden ist es nun schon her, dass ein seltsam vertraut
aussehender großer, roter Kerl mit abgesägten Hörnern und einer
steinernen Hand auf der Bildfläche erschien, um allerlei obskuren,
möglichen und unmöglichen Kreaturen eins aufs Maul zu geben. In diesen
zwanzig Jahren hat sich aus den kurzen Episoden über das Leben dieses
übernatürlichen Ermittlers eine epische Geschichte entwickelt, in der es
um nichts weniger geht, als das Schicksal unserer Welt.
Seit der Initialzündung im Jahre 1993 wurden mehrere Spin-Offs und
Miniserien in Form von Comics und Romanen veröffentlicht. Zwei Kinofilme
gaben der Reihe 2004 und 2008 enormen Auftrieb. Nebenher produzierte
man noch zwei Zeichentrickfilme, eine eigene Hörspielreihe, basierend
auf den bereits erschienenen Comics, und ein Videospiel für XBOX360 und
PS3, über das ich an dieser Stelle besser den Mantel des Schweigens
breite. Auch "Web of Wyrd" mit Lance Reddick als Sprecher von Hellboy konnte die Kritiker nicht überzeugen, war in seiner Summe jedoch weit kompetenter als die nunmehr fast zwei Dekaden alten Versoftungen.
Dass Hellboy mit David Harbour in der Hauptrolle einen dritten Film spendiert bekommen haben soll, verweise ich in das Reich der wüsten Behauptungen. Allerdings gab es unlängst einen weiteren Film, der jedoch unverdient unter dem Radar lief und demnächst eine eigene Besprechung erhalten wird.
Hellboy mag sein Dasein als Nischenprodukt begonnen haben, aber er hat
einen zu großen Fußabdruck in der Comiclandschaft hinterlassen, als dass
man ihn übersehen könnte; zumindest wenn man sich auch abseits
Entenhausens mit gezeichneten Geschichten beschäftigt. Mittlerweile hat
sich um die Figuren, die Mike Mignolas Kopf entkommen konnten, ein
quicklebendiges Universum entwickelt, das sogenannte Mignola-Verse.
![]() |
| Einer der ersten Entwürfe für Hellboy |
"Knie vor mir nieder, Kreatur! Unterwirf dich mir und du wirst Leben, um die neue Dämmerung dieser Welt zu sehen!" - Rasputin
Mike Mignola ist die Wurzel dieses Weltuntergang ankündigenden Übels.
Der Beginn seiner Karriere liest sich wie ein Lebenslaufvordruck für die
Zeichenkünstler seiner Generation. Genauso wie viele andere, verdiente
sich der 1960 geborene US-Amerikaner seine Brötchen zunächst bei den
beiden großen Verlagen Marvel und DC. Dort arbeitete er an Serien wie
z.B. Daredevil, Phantom Stranger, Batman, Starman oder Rocket Raccoon.
Mignola hat also schon über längere Zeit die Figuren anderer Künstler in
Szene gesetzt, als er 1992 den Auftrag bekam Francis Ford Coppolas
Dracula Verfilmung zu adaptieren. Dieser Auftrag sollte sich als
Wendepunkt seiner Karriere herausstellen. Statt nach der
inspirierenden Arbeit an unheimlichen Stoffen wieder zu einem weiteren
Batman oder Alien Comic zurückzukehren, entschloss er ein wenig länger
im Genre zu verweilen. Er wollte Monster zeichnen, sich mit
Prophezeiungen und mysteriösen Charakteren beschäftigen. Doch es gab
keine Reihe, die ihm diese Gelegenheit bot.
Eine neue Figur musste her! Eine, die er sich notgedrungen selbst ausdenken musste.
Schon seit seiner Jugend hatte Mignola ein Faible für Monster; und für
Monster, die sich mit anderen Monstern kloppten, im Besonderen. Daher
lag es nahe ein Monster zum Protagonisten zu erklären. Nachdem diese
Entscheidung gefallen war, lag die Herausforderung des Figurendesigns
noch vor ihm. Bislang hatte Mignola noch keinerlei Erfahrungen mit dem
Erschaffen eines Charakters sammeln können. Also orientierte er sich an
dem, was er kannte.
![]() |
| Kein Wunder, dass die Ausgabe von Bastei floppte. |
Hellboys physische Erscheinung basiert zu großen Teilen auf dem Aussehen
von Mignolas Vater. Ein tougher Veteran des Korea Krieges, dessen Haut
aus Leder zu bestehen schien und der sich Streichhölzer an seinen
schwieligen Händen anzünden konnte.
Was Hellboys Persönlichkeit angeht, die Art und Weise, wie er redet,
gleicht wiederum nach Angaben seines Schöpfers am ehesten ihm selbst.
Heraus kam am Ende ein Antiheld, der von Mignola gerne auch als Klempner
unter den Superhelden bezeichnet wird.
Dafür, dass die vollkommene künstlerische Freiheit etwas ganz neues für
den Zeichner war, spricht die Tatsache, dass er in Hellboys erster
Geschichte, Saat der Zerstörung, noch John Byrne die Dialoge schreiben
ließ. Erst danach traute er sich an Zeichnungen und Texte gleichermaßen
heran.
Irgendwoher kenn ich das doch...
Eine Hauptfigur war also gefunden. Nun fehlte nur noch eine gute
Geschichte, was zugleich der Punkt ist, an dem für Autoren die Probleme
traditionsgemäß erst richtig anfangen. Normalerweise. Für Mike Mignola,
ein Fan alter Pulp Magazine, waren die Inspirationsquellen schnell
gefunden.
Pulp Magazine, kurz Pulps genannt, waren Zeitschriften mit Geschichten
aus den unterschiedlichsten Literaturgattungen. Vom Western über
Detektivstories und Liebesromane wurden bis zu Horror, Fantasy und
Science-Fiction zahlreiche Genres bedient. Ihre Blütezeit hatten die
Pulps in den Jahren zwischen 1930 und 1960.
Der Name ist doppeldeutig zu verstehen. Zum einen bezeichnet Pulp
im Englischen billig produziertes, holzhaltiges Papier und wird aus
diesem Grund zum anderen umgangssprachlich auch als Synonym für den
Begriff "Schund" verwendet. Zorro, Tarzan und Conan sind nur einige
berühmte Figuren, die während der Pulp Ära entstanden. Hellboy wurde lange Zeit wie die Geschichten dieser Magazine nicht strikt chronologisch geschrieben
und veröffentlicht. Erst im Gesamtgefüge, kann der Platz der einzelnen
Storys nachvollzogen werden.
Zwar werden viele Geschichten zu Recht der Trivialliteratur zugerechnet,
doch einige Autoren konnten über das Format hinaus wirken. Zu diesen
gehören beispielweise Arthur C. Clarke, Isaac Asimov, Philip K. Dick,
Frank Herbert, Dashiell Hammett, Robert E. Howard und H.P. Lovecraft.
Auf die beiden Letztgenannten muss man ein wenig näher eingehen, um die
Verbindung zwischen dem Mignola-Verse und den Pulps besser verstehen zu
können.
![]() |
| Ron Perlman passt als Darsteller wie die Faust aufs Auge. |
Howard Philips Lovecraft
Der Meister des übernatürlichen Horros, dessen frühe Werke von Edgar
Allen Poe beeinflusst waren, vermischte gelegentlich die Genres
Science-Fiction und Horror mit Motiven einer sozialen Utopie. Zu seinen
bekanntesten Werken zählen Berge des Wahnsinns, Schatten über Innsmouth und Der Ruf des Cthulhu.
Lovecrafts Protagonisten müssen sich oft einem uralten Übel stellen, das
verborgen hinter einem Schleier aus Mystik unter der erlebten Realität
lauert. Wie Götter dringen diese Kreaturen in die Welt der unbedeutenden
Menschen ein und bedrohen deren Existenz wie der Schuhabsatz die
Kakerlake. Dabei stöbern die handlungstragenden Figuren die Großen Alten
mit den unaussprechlichen Namen oft bei Nachforschungen oder
Expeditionen auf. Sie sind also an ihrem Untergang selbst schuld.
Neugier und Forscherdrang wird bei Lovecraft in aller Regel bestraft.
Das Ende vom Lied: die Figuren fallen regelmäßig dem Wahnsinn anheim.
Im Großen und Ganzen stammen die beschworenen Übel aus den Weiten des
Kosmos oder aus der Vergangenheit der Erde, bevor das Menschengeschlecht
auf ihr wandelte. Relikte aus entlegenen Gegenden des Planeten zeugen
von uns weit überlegenen Rassen und untergegangenen Kulturen.
Diese Motive tauchen gleich mehrfach bei Hellboy auf. Die Anwesenheit
des roten Teufels, der aus einer anderen Realität als der unseren
stammt, ist mit dem Wirken einer uralten Macht verbunden, die
eingeschlossen in ihrem Kerker, irgendwo in der Schwärze des Alls auf
ihre Rückkehr zur Erde wartet: den Ogdru-Jahad.
Das Antlitz dieses Wesens, seines Dieners Sadu-Hem und das anderer
Kreaturen ist ebenfalls von Lovecraft inspiriert. Der Autor ekelte sich
vor allem Getier aus dem Meer. So verwundert es nicht, dass er seine
Schöpfungen gerne mit entsprechenden Attributen wie bspw. Tentakel
ausstattete. Mignola griff dies bereitwillig auf, um es gelegentlich bei
Hellboys Gegenspielern einzusetzen. Von dem Horrorautor übernahm er
ebenfalls den Hang zu sperrigen und antiquiert wirkenden Namensgebungen.
Wer sich länger mit Hellboys Abenteuern beschäftigt wird immer wieder
auf die Themen Mystik, Alchemie, vergessene Kulturen, Kulte und
verborgene Realitäten stoßen. Und natürlich ist auch für Mignola eine
Expedition ein probates Mittel, um den Plot ins Rollen zu bringen.
![]() |
| Hellboy im Animationsfilm Sword of Storms |
Robert Ervin Howard
Dem Vater von Conan, dem Cimmerier und Kull von Atlantis
bringt nicht bloß dessen Beitrag zu Lovecrafts Cthulhu-Zyklus (Children
Of The Night, The Thing On The Roof) an dieser Stelle eine Nennung ein.
Wie sein Kollege hatte er ein Faible für das
Untergegangene-Kulturen-Thema, das auch bei Hellboy des Öfteren auf den
Tisch gebracht wird.
Mit dem Cimmerier hat der Ermittler des Paranormalen so einiges
gemeinsam. Beide sind wortkarg, wirken gelegentlich naiv, haben einen
Hang zum Pragmatismus, sind leicht reizbar und fackeln nicht lange, wenn
ihnen ein Gegner ans Leder will. Probleme werden gerne mit der
Holzhammermethode angegangen. Warum auch nicht?! Schließlich haben sie
ungemein Erfolg damit.
Obendrein stolpert Hellboy ebenso wie Conan unbedarft in obskure und
sehr prekäre Situationen - normalerweise ohne den blassen Schimmer einer
Ahnung von einem Plan zu haben, wie es weiter gehen soll. Es entwickelt
sich halt eben so, wie es sein muss.
Was die Namensgebung im Mignola-Verse angeht, sollte nicht unerwähnt
bleiben, dass mindestens eine Howardsche Wortschöpfung in leicht
abgewandelter Form auch dort auftaucht. Conan lebt im Zeitalter von
Hyboria, während bei Hellboy gelegentlich von einer vormenschlichen
Kultur die Rede ist: den Hyperboreanern.
"Wenn ich wütend bin, mache ich manchmal Dummheiten. Dummheiten, wie Hals über Kopf in einen dunklen Raum zu stürmen." -Hellboy
In Bezug zur Art und Weise, wie der rote Kerl in seine Abenteuer gerät,
verweist Mike Mignola zusätzlich auf einen anderen Schreibknecht der
Pulp-Szene. Manly Wade Wellman ließ Silver John in ähnlicher
Manier als zielloser Wanderer durch die düsteren Wälder der Appalachen
streifen. Die Hellboy Geschichte Der Krumme nimmt sogar direkten Bezug auf dieses Setting. 2024 wurde die mit dem Eisner Award ausgezeichnete Geschichte "The Crooked Man" sogar verfilmt.
Des weiteren führt Mignola Michael Moorcock als eine seiner
Inspirationsquellen an. Der britische Autor nutzt mit Vorliebe die
Multiversum Theorie als Basis seiner Geschichten. Demnach existieren
unendlich viele parallele Welten, die sich räumlich und zeitlich
überlappen können. Oft muss der Protagonist im Kampf zwischen Ordnung
und Chaos die Balance bewahren. Eine Aufgabe von Sisyphosschen Ausmaßen
für einen verdammten Helden, welche ebenso auf Hellboys Schultern
lastet. Schließlich versuchen seine Schöpfer alles, damit er seinen
Widerstand aufgibt und endlich dem Zweck seines Daseins nachkommt und
Ragnarök, die Apokalypse, auslöst.
![]() |
| Mignolas Schatten betonender Zeichenstil wirk am besten in den S/W-Ausgaben. |
Neben Pulps finden sich auch immer wieder Anleihen aus Folklore, antiker
Mythologie, modernen Legenden, Märchen aus aller Welt, klassischen
Monstergeschichten, brauner Esoterik und Verschwörungstheorien ihren Weg
in das Mignola-Verse, um dort fiktive Wirklichkeit zu werden.
"Von
gewaltiger Kraft und riesigen Schrittes sind sie. Achtlos zermahlen sie
das Land wie Getreide." Rasputin über die Ogdru-Jahad
Inzwischen sind über 32 Jahre vergangen. Seit Hellboys erstem Auftritt
im begleitenden Comicheft zur San Diego Comic Con 1993 haben sich viele
Autoren und Künstler mit dem sympathischen Schlagetot beschäftigt. John
Arcudi, Scott Allie, Guillermo del Toro, Duncan Fegredo, Guy Davis,
Gabriel Bá und Richard Corben sind nur einige davon.
Auch wenn Anung Un Rama zwischenzeitlich den Löffel abgeben musste,
bedeutet das noch lange nicht das Ende seiner Geschichte. Inzwischen wurde mit "The Devil You Know" die Geschichte um den Höllenburschen und die B.U.A.P. sogar abgeschlossen und auch in Deutscher Sprache veröffentlicht. Solch ein Umstand hält Autoren jedoch nicht vom Schreiben neuer Geschichten ab. Wenn man den
Worten seines Schöpfers trauen kann, wird selbst der Tod erhebliche
Mühen haben, den Teufel für die nächsten zwanzig Jahre mundtot zu
machen.
| Die bisherigen deutschsprachigen Ausgaben der sog. Hellboy Ziegelsteine. Grds. Abschluss der Gesamtstory in Band XIII |
Alle Bilder und Texte sind Eigentum des jeweiligen Rechteinhabers.






Kommentare
Kommentar veröffentlichen