Wer beim zynischen Titel eine Augenbraue lupft, wird bereits ahnen, dass heute weniger leichte Kost geboten wird.
Krieg ist allgegenwärtig. Fast durchgehend wird irgendwo auf dem Planeten gekämpft. Aus religiösen oder ethischen Gründen, um Ressourcen, um eine Ideologie zu etablieren oder aus kleingeistigen Eitelkeiten heraus. Kein Wunder, dass der Krieg© auch in allen Formen der Unterhaltung zum Ausdruck kommt. Musik, Buch, Film und auch in Videospielen.
Aber um der Fallout Reihe zu widersprechen: Krieg ist nicht immer gleich. Der Umgang mit dem Thema in Spielen bewegte sich lange Zeit eher auf dem intellektuellen Niveau einer eingeklemmten Vorhaut. Laut, edgy und ganz viel "Murica, f*ck yeah!" - Call of Duty war lange Zeit der Platzhirsch im Shootergenre und gab den Ton vor. Ich hatte mit den Kampagnen durchaus auch meinen Spaß, aber Aktionen wie der Level No Russian in Modern Warfare 2 waren billigste Shocker, um Aufmerksamkeit zu generieren. Solche Nummern fand ich bereits damals ziemlich daneben. Auf einem angemesseneren Niveau näherte man sich dem Thema von jeher im Genre der Taktik- und Strategiespiele an. Gerade in Spielen mit historischem Setting standen die akkurate Abbildung der Technik und komplexe Spielmechaniken im Vordergrund. Inhaltlich blieb es in der Regel spröde. Ausgefeilte Geschichten waren halt nicht der Fokus in diesem Genre.
Jedenfalls war bei Krieg in aller Regel Spaß angesagt. Schließlich musste der War on Terror ordentlich gefeiert werden. *Konfetti in die Luft werf*
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| Zerstörung und Tod sind allgegenwärtig |
Dann kam 2012 Spec Ops: The Line von Yager Development heraus und drehte den Spieß einmal um. Das Spiel startete wie ein herkömmlicher Third-Person-Shooter, der dem Spieler wie gewohnt die Kontrolle des Helden überließ. Doch gerade als man sich herrlich wohl in seiner ballernden Haut fühlte, führte einem Yager vor Augen, was man all den Menschen auf dem Schlachtfeld durch den Einsatz von Phosphorgranaten angetan hatte. Langsam musste man an verkrüppelten, verbrannten und verstümmelten Leichen und schwer verletzten Überlebenden vorbei zum nächsten Ziel im Level gehen. Das Spiel basierte wie auch der Film Apocalypse Now auf dem Buch Herz der Finsternis von Joseph Conrad und wollte es den Spielern nicht zu einfach machen mit der moralischen Überlegenheit. Obwohl kommerziell nicht erfolgreich, scharte sich eine treue Fangemeinde um das Spiel. Jedenfalls bewies man, dass es auch anders geht.
Seitdem kamen viele Spiele heraus, die Krieg als Thema bzw Setting hatten und unterschiedliche Spielegenres abdeckten. Vom Iso-Survival-Horrortrip Conscript, über die Überlebenssim This War of Mine bis zum Adventure 11-11: Memories Retold, in dem man sich durchaus sensibel der Darstellung des Großen Krieges und der Freundschaft zwischen zwei verfeindeten Soldaten annahm, ist alles dabei, was das Spielerherz begehrt. Die Kriegsparty gibt es natürlich immer noch, aber der Katalog ist variantenreicher und weniger schrill im Ton geworden. Es dürfen übrigens schon Wetten angenommen werden, wie sich das aufgrund der sich verändernden politischen Großwetterlage in den nächsten Jahren entwickeln wird. Ich tippe auf eine geschmacklosere Richtung. Hier habt ihr es zuerst gehört!
Während man in rein passiven Medien eine beobachtende Position einnimmt, setzt sich das aktive Medium Videospiel immer einem latent vorhandenen Vorwurf der Kriegsverharmlosung aus, weil man stets mit Gameplaymechaniken arbeiten muss, die dazu existieren Spielspaß zu generieren. Wer gar keinen Bezug zu Games hat, wird diesen Umstand oft nicht nachvollziehen können. Krieg und Spaß in einem Satz können sich für diese Personen beißen. Hell Is Us muss sich meiner Meinung nach diesem Vorwurf nicht stellen.
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| Das Gebiet am See gibt eine Idee davon wie schön Hadea ohne Krieg sein könnte |
Wer fleißig Gegenstände und Daten sammelt, wird eine tiefer liegende und seit fast fünf Dekaden laufende Verschwörung aufdecken, die ihren Ursprung vor allem im Ausland hat. Ich verstehe warum man das eingebaut hat. Rogue Factor will ein möglichst breit aufgestelltes Spieluniversums erschaffen, das die am Ende angedeutete Fortsetzung rechtfertigen kann. Meiner Meinung nach hätte es diese zusätzliche Ebene zum Bürgerkrieg nicht gebraucht, da selbst dieser Themenkomplex nicht abschließend erforscht wird. Andererseits werden viele Spielende diese Infos wohl ohnehin nicht erhalten, wenn sie sich auf die Hauptmissionen konzentrieren.
Das an Südosteuropa erinnernde Setting ist jedoch der größte Pluspunkt des Spiels neben Grafik, Soundkulisse und Score. Selten war Krieg in einem Spiel derart düster, schmutzig und bedrückend in Szene gesetzt worden. Um die Grenzen des guten Geschmacks nicht vollends niederzutrampeln, werden nur die Ergebnisse der Kriegshandlungen gezeigt. Als Spieler ist man nie live dabei, wenn es passiert. So umgeht man auch den Vorwurf sich billiger Schockmomente und des Voyeurismus der Spielenden zu bedienen. Wirklich entschärft ist die Gewalt am Ende jedoch nicht. Zerstörte zivile Gebäude, Berge brennender Bücher, niedergewalzte Menschen, Kinderleichen, Massengräber, Scheiterhaufen aus aufgeschichteten Menschen, die man offenkundig bei lebendigem Leib verbrannt hat, Erhängte, die vor einem gespannten Banner für ein geplantes Stadtfest im Wind pendeln, teils körperlich verstümmelte Überlebende, die von Folterungen und Vergewaltigungen erzählen - die Bandbreite an Kriegsverbrechen ist hoch.
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| Gekämpft wird ausschließlich gegen die Hollow Walker |
Die begangenen Grausamkeiten in Hadea werden im Land als Kalamität euphemistisch umschrieben. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Schaden, Unheil, Unglück, Notlage und beschreibt auch eine massenhafte Schädigung von Pflanzen durch Naturgewalten. Und genau das ist der Bruderkrieg für die Hadeaner - eine Naturgewalt, der man sich weder entziehen kann noch eine Schuld daran hätte. Fast nach dem Motto: "Stell dich nicht so an, das passiert halt hin und wieder."
Die Kalamität hat bereits in der Vergangenheit Lymbische Plagen heraufbeschworen. Im katholischen Glauben wird die Vorhölle auch Limbus genannt. Medizinisch ist das limbische System die Region im Hirn, die für die Verarbeitung von Emotionen verantwortlich ist und gleichzeitig als Ursprung des Triebverhaltens gilt. Die Plage manifestiert sich in Hadea als übernatürliche gesichtslose Wesen. Sie wandeln über die Erde und töten jeden, der sich ihnen nähert. Diese Kreaturen werden Hollow Walker genannt und sind die Gegner, an denen sich die Spielenden abarbeiten müssen.
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| Typische Situation: ein Gegenstand wird benötigt. Resident Evil lässt grüßen |
Es ist ein cleverer Schachzug von Rogue Factor, dass man niemals gegen Menschen kämpft. So verhindert man, dass die Spielenden leichtfertig eine Seite wählen. Daher metzelt man sich als Rémi, ein Soldaten der ON Friedenstruppen, mit Nahkampfwaffen durch viele hundert Gegner bis zum Finale. Seine Flugdrohne spendet Licht und kann mit verschiedenden Modulen ausgerüstet werden, die Spezialattacken ermöglichen. Bei einem Schmied wiederum erhöht man die Qualitätsstufe der Waffen. Jede Waffe hat zudem drei Slots, in die man Glyphen einsetzen kann, die Rémi wiederum besondere magische Angriffe ermöglicht. Je häufiger man eine Waffe benutzt, umso höher steigt sie im Level. Es gibt lediglich vier verschiedene Waffen im Spiel. Man wird hier also nicht mit einer der üblichen Lootspiralen am Ball gehalten. Man muss natürlich besser werden und Glyphen finden, um in den späteren Abschnitten die Hollow Walker in Schach halten zu können. Kampf macht einen beträchtlichen Anteil des Gameplays aus, ist aber nicht so bockschwer wie in einem Soulslike. Wer die Story erleben will oder keinen Bedarf an knackigen Kämpfen hat, darf sich einen präferierten Schwierigkeitsgrad auswählen.
Das grundlegende Kampfsystem aus Schlag, aufgeladener Schlag, Blocken, Parieren und Ausweichen bietet soweit Standardkost, geht jedoch gut von der Hand. Von Leitern abgesehen gibt es keinerlei Klettermöglichkeiten. Wer Jump 'n Run Einlagen nicht mag, darf Durchatmen. Die Bewegungsmöglichkeiten durch die Level sind sehr basic. Ja, man darf kritisieren, dass Rémi nicht springen kann und selbst an kleinsten Zäunen scheitert. Es ist halt eine Designentscheidung, die hier der Levelarchitektur zugute kommt. Wenn man will, dass Spielende den Weg durch ein Gelände finden sollen ohne ihnen ständig mittels meterhohe Wände die Sicht versperren zu müssen, ist dies die beste Lösung.
Die wahre Herausforderung bietet Rogue Factor ohnehin an anderer Stelle. Abgesehen von einem Kompass gibt es keine Orientierungshilfe in Form einer Karte oder Questmarkern. Ein Taschencomputer speichert alle wichtigen gesammelten Informationen zu unseren Zielen, aber finden müssen wir die selber. Auch bekommen wir die Lösungen für die vielen kleineren und größeren Rätsel nicht vorgekaut. Die Hinweise finden sich in Notizen, Schildern, Levelarchitektur und in Gesprächen mit NPCs. Wenn man diesen Ansatz verfolgt, ist es immens wichtig, dass man zum einen nicht mit Infos zugespammt wird und zum anderen, dass die Gebiete mit möglichst vielen herausstechenden Landmarken gespickt sind, anhand denen man sich orientieren kann. Hier liefert Rogue Factor die meiste Zeit über.
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| Rémi ist von seiner Vergangenheit und dem Krieg in Hadea gezeichnet |
Trotzdem ist es in Hell Is Us Pflicht Stift und Papier zur Hand zu haben. In welchem Level stehen an welchem Punkt verschlossene Kisten oder noch nicht nutzbare Apparaturen? Welcher NPC benötigt noch welchen Gegenstand? Alles Dinge, die man sich fix notieren sollte. Schon nach kurzer Eingewöhnungszeit wird klar, welche Hinweise wichtig zur Lösung der Rätsel sind. Sollte man trotzdem mal hängen, gibt es im Zwischennetz bereits ausreichend Hilfestellungen. Steckenbleiben wird man also nicht.
Kommen wir zu den negativen Punkten: vor allem war mir das Spiel mit 25-30 Spielstunden deutlich zu lange. Besonders im letzten Drittel hatte ich den Eindruck, dass Rogue Factor sich den Leuten beugen wollte, die so unsinnige Rechnungen anstellen wie "Preis durch Spielzeit". Die meisten Rätsel sind optional und können weitestgehend ignoriert werden. Man wird derart mit Glyphen und weiteren Items zugeworfen, die man nicht braucht, um das Spiel zu beenden. Es hätte dem Spiel dennoch gut getan auf den einen oder anderen Schauplatz zu verzichten oder kompakter zu gestalten. Die Spielmechaniken tragen leider nicht über die gesamte Dauer. Dafür sind die Kämpfe bei geringer Gegnervielfalt nicht spaßig genug und die Rätsel bremsen einen irgendwann mehr aus als dass sie noch Freude bereiten - auch wenn sie durchaus Abwechslung bieten. Zwei Kritikpunkte, die bei einer kürzeren Spieldauer deutlich weniger ins Gewicht fallen würden.
Die Idee wiederum über Gute Taten die Spielenden dazu zu nudgen sich um die NPCs zu kümmern, fand ich wiederum sehr gut. Für Gute Taten erhält man ebenfalls Belohnungen. Zwar laufen die Nebenquests fast immer darauf hinaus, dass man Gegenstände finden und jemandem bringen muss, aber dafür sind immer nette kleine Geschichten darum gestrickt. Benzin wird für ein Boot gebraucht, um eingesperrte Frauen aus einer Scheune zu befreien, in der sie gefoltert werden, ein Mann auf Flucht vermisst seinen Hund, die Asche eines Verstorbenen muss zum Mausoleum gebracht werden, mit Met kann man einen Soldaten gesprächig machen, ON Soldaten benötigen ein Funkgerät, um aus dem Gebiet wieder zur Friedenstruppe finden zu können usw usf. Als Sahnehäubchen kann man all diejenigen, deren Leben man gerettet hat, am einzigen vom Krieg verschonten Ort, einem See, wiedertreffen, wo sie in Sicherheit sind. Es fühlt sich gut an, wenigstens ein wenig Veränderung bewirkt zu haben.
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| Eine Glyphe für die Waffen |
Auch gut, aber am Ende mal wieder Potential verschenkt.
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Gespielt auf PC; ebenfalls erschienen für PS5 und XBOX.
Englische Sprachausgabe, Deutsche Texte






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