Direkt zum Hauptbereich

Herzpockensaison in Eriksholm


Die Stadt Eriksholm wird von einer Seuche heimgesucht. Viele Menschen sterben an der Erkrankung und eine Therapie scheint es nicht zu geben. Zudem deuten sich weitere politische Spannungen an. In dieser höchst nervösen Phase, ist Hanna unlängst von ihrem Infekt mit den Herzpocken genesen, als Polizisten auftauchen und ihren Bruder Herman suchen. Wenn man schon ihm nicht Habhaft werden kann, soll Hanna mit aufs Revier kommen. Aus Angst, dass eine Zelle auch ihr Grab werden könnte, muss sie der Polente entkommen und ihren Bruder suchen. 

Ja, es sind wahrhaft paradiesische Zeiten im fiktiven Ort Eriksholm, dessen Design an skandinavische Städte zu Beginn des letzten Jahrhunders erinnern soll. An jedem Ort verströmt das Spiel eine bedrohliche Atmosphäre. Die Stadt wird von Schmutz und Blut zusammengehalten. Es gibt einen starken Kontrast zwischen Arm und Reich, der durch die allgegenwärtige und brutal vorgehende Polizei noch verstärkt wird. In diesem Setting müssen die Spieler Hanna durch isometrische Schauplätze dirigieren, um sie am Leben zu erhalten.

Äußerst hübsch geraten: Eriksholm

Die Darstellung der einzelnen Szenen erinnert an Taktikspiele wie Commandos oder Desperados. Dazu zählt die Perspektive genauso wie die Anzeige von Sichtkegeln der Gegner. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied. Während man in in den Commandos-Spielen oft nur per Save Scumming zum Ziel kommt, also mit permanentem Speichern und Neuladen des Spielstandes, gibt sich Eriksholm casual. Es gibt feste Speicherpunkte. Normalerweise wäre das ein No-Go für dieses Genre. Allerdings ist Eriksholm kein reines Taktikspiel, sondern ein Stealth-Game, in dem man sich von Areal zu Areal bewegt und quasi Puzzle lösen muss, um weiter zu kommen. Der Weg durch die Level ist also linear und nicht frei, wie sonst für das Genre üblich. Wird Hanna erwischt oder getötet, wird man nur einen kurzen Abschnitt zurückgeworfen und kann eine neue Herangehensweise ausprobieren. Dazu zählen Ablenkungen, Schlafpfeile, gut getimetes Bewegen zwischen Deckungen usw. Im späteren Verlauf ist man mit bis zu drei Figuren unterwegs. Jede Figur hat eigene Fertigkeiten im Gepäck, die sich gegenseitig ergänzen.

Eriksholm ist bewusst nicht bockschwer angelegt worden. Es ist immer wieder mal herausfordernd, aber nie frustig. Sollte man an einer Stelle hängen bleiben, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man etwas übersehen hat und einen anderen Ansatz für die Situationsbewältigung benötigt. Etwa vierzehn Stunden wird man für den ersten Durchauf benötigen.

Beständig wird die Handlung in den Levels vorangetrieben.

River End Games legte den Fokus auf das Erzählen der Geschichte. Die ist nicht allzu komplex geraten, unterhielt mich jedoch bis zum Ende. Gleichzeitig is diese auch mein größter Kritikpunkt. Der Kontrast zwischen Arm und Reich bildet hier lediglich das Setting. Immer wieder spielt man mit Themen wie Ausbeutung, Verelendung und Ungleichbehandlung. Nur die Reichsten wissen beispielsweise, dass es eine Medizin gegen die Herzpocken gibt, sie aber nicht dem Pöbel zur Verfügung gestellt wird. Leider werden diese Themen nicht zu Ende gedacht. Die Bevölkerung ist am Ende nicht schlauer als zu Beginn der Handlung und genauso machtlos. Obwohl ein Happy End für die drei Protagonisten gezeigt wird, ist nicht nachvollziehbar, dass sich etwas an den Herrschaftsverhältnissen und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Grundproblemen geändert haben sollte. Andererseits: warum auch? Schließlich stellen die Figuren nicht einmal ihre eigene Position innerhalb der Gesellschaft ernsthaft in Frage. So wird lediglich die akute Bedrohung durch den Bürgermeister angegangen, während die systemischen ignoriert werden. Und das, obwohl der Plot erst durch die Willkür der Politik und des Polizeiapparats in Gang gesetzt wird. Jegliche sozialkritische Auseinandersetzung wird demnach zugunsten des sich in der zweiten Hälfte des Plots entwickelnden Politthrillers aufgegeben. Dieser lenkt von den einleitenden Themen ab. Bestärkt wird dies durch die Zusammenarbeit mit den Soldaten der Loyalistenfraktion. Es wird am Ende sogar der Eindruck erweckt, dass der Bürgermeister die Ursache der Probleme gewesen ein könnte, obwohl das natürlich Unfug ist. Als ob er mächtiger als der König sein könnte. Das alles wird unterhaltsam inszeniert, keine Frage, lässt aber eine Menge Potential ungenutzt.

Das Artdesign ist einer der größten Pluspunkte des Spiels. Eriksholm wirkt unglaublich lebendig. Es gibt zudem eine handvoll Zwischensequenzen, die für ein so kleines Studio extrem hochwertig geraten sind. Musik und Vertonung wissen ebenfalls zu gefallen. Wer auf Deutsche Sprachausgabe pocht, wird enttäuscht werden. Die hochklassigen englischen Sprecher sind jedoch sehr gut zu verstehen. Im Zweifelsfall gibt es noch deutsche Untertitel.


Die wenigen Zwischensequenzen überzeugen mit hoher Qualität

Das Spiel ist recht genügsam, was die Hardwareanforderungen angeht. Eriksholm lief sogar auf meinem SteamDeck fast immer in stabilen 40 fps. Gespielt habe ich mit Controller am PC. Maus und Tastatur wird jedoch auch unterstützt. Erschienen ist Eriksholm: The Stolen Dream auch für XBOX und PS5. Wer sich einen Eindruck von der Qualität des Spiels machen will, kann auf Steam eine Demo herunterladen. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Zwei Cent für den Dummbrunnen

Ein Sargnagel für's Genre   Ich mag Abenteuerfilme. Geschichten, in denen es um die Erforschung alter Stätten geht, um mystischen Klimbim aus der Vergangenheit, Schätze, die ihrer Entdeckung harren. Eine schöne Mischung aus historischen Faktenkrümeln, gemischt mit einer handvoll erinnerungswürdiger Figuren und ein wenig gut gemachter Action ist mir am liebsten.  Von mir aus kann man sich auch gleich alles aus den Fingern saugen und auf historische Bezüge komplett pfeifen. Ja, ich mag das Genre immer noch, obwohl Hollyood seit langer Zeit bestenfalls mittelmäßige Vertreter produziert. Die Vermächtnis-Reihe , der fehlbesetzte Uncharted Film, Tomb Raider,  die meisten Dan Brown Verfilmungen, der James Mangold Indiana Jones ... irgendwie trifft man in Hollywood den Ton nicht mehr.  Selbst Filme, denen ich etwas abgewinnen kann, haben ihre Probleme. Beispielsweise Sahara mit William H. Macy, Matthew McConaughey, Steve Zahn und Penelope Cruz. Der Film hatte ausgeprägte ...

"Zu Ihrer eigenen Sicherheit: Ziehen Sie weiter! Es gibt hier nichts zu sehen!"

Wieder einen Abend zu hause vertändelt, weil man sich nicht entscheiden konnte, welches Angebot man nutzen, welchen Film man schauen wollte? Wieder den Fehler begangen auf Bewertungsplattformen Empfehlungen zu lesen und auf Formulierungen wie: "Die darstellerische Schaffenskraft in diesem Werk hat mir gezeigt, dass ich das auch kann." "Es gelingt der Regisseurin glaubhaft das nie endenwollende Verrinnen von Zeit zu vermitteln." "Dieser Film hat mir vor Augen geführt, was wahrhafte Ahnungslosigkeit wirklich bedeutet." oder "In Zeiten vollkommener Gleichgültigkeit mache ich diesen Film an, einfach um zu sehen, ob ich überhaupt noch etwas fühlen kann." hereingefallen und einen so schlechten Film geschaut, dass es gar kotzig übel im Rachenraum geworden ist?  In dem Fall besitzt Du noch keinen Sarkasmusdetektor oder solltest ihn dringed neu justieren lassen. Daher empfehle ich Dir den Sarkasmusakkumulator aus der Hildegard von-Orgon-Reihe zum schlapp...

Pulpgeddon

Wir schreiben das Jahr 1944. Der Zweite Weltkrieg war in vollem Gange. Noch jedenfalls. Und um es kurz zu machen: für die Achsenmächte lief es nicht besonders gut. Dass Hitler noch eine Chance hatte das Ruder herumzureißen, war mehr als fraglich. Dies war die Stunde einiger hochrangiger Nazis, die dem Okkultismus anhingen. Sie stellten allerlei absurde Theorien auf und führten verzweifelte Experimente durch, die helfen sollten wider besseren Wissens den Endsieg zu erringen. Eines Tages baten sie Grigori Jefimowitsch Rasputin um Hilfe. Der russische Mystiker hatte eigene Pläne, gab sich aber willfährig, um an die Ressourcen der Faschisten zu kommen. Mit ihren Mitteln beschwor er ein Monster in der Gestalt des Leibhaftigen. Zumindest in einer Version wie sie mit zwei Jahren ausgesehen haben könnte. Allerdings gelang es dem Dämon, sich der Kontrolle seines Meisters zu entziehen und wurde stattdessen von Professor Trevor Bruttenholm aufgefunden. Der Amerikaner nahm ihn b...