Katze lebt einsam in einem langsam verfallenden Haus, das einst einem Künstler gehört haben muss. Er schnitzte Katzenfiguren und stellte sie vor dem Haus aus. Die Samtpfote ist zufrieden mit ihrem Leben, bis eine Flutwelle sie zwingt ihre Heimstatt zu verlassen. Es schließt sich eine Abenteuerreise auf einem Boot an, auf dem sie sich mit Hunden, Lemuren, einem Capybara und einem Sekretärvogel zusammenraufen muss, um die Katastrophe zu überleben.
Dem Letten Gints Zilbalodis gelang es mit dem kostenfreien 3D Tool Blender einen Animationsfilm zu erschaffen, der einzigartig ist. Die Optik erinnert gleichzeitig an alte Zeichentrickfilme, orientiert sich mit seiner Ästhetik jedoch am Stil von diversen Indie-Games. Die Gestaltung der wüsten, verlassenen Welt wiederum hat mich immer wieder an Spiele des Studios Team Ico erinnert. Shadow of the Colossus, Ico und The Last Guardian spielten in den Gerippen und Hinterlassenschaften menschlicher Zivilisationen, was ihnen einen melancholischen Unterton verlieh. Die Spieler steuerten die Helden durch feindliche Welten, in denen sie kaum auf Hilfe hoffen konnten. Kommunikation findet in diesen Spielen wie im Film auf basaler Ebene statt.
Vermutlich ist es dem geringen Budget von etwa 4 Mio US Dollar zu verdanken, dass man das Experiment wagte, auf Dialoge und übermäßige Vermenschlichung der Tiere zu verzichten. Mimik, Körperanimation und Verhalten sind nah an den echten Vorbildern. Belohnt wurde der Mut zu dieser Entscheidung mit einem finanziellen Erfolg. Knapp 50 Mio US Dollar soll Flow eingespielt haben. Dafür, dass der Film weit unter dem Radar geflogen ist, ist das erstaunlich. Geholfen hat am Ende vermutlich die Oscarnominierung und Prämierung.
Dass man auf Sprache verzichtet, macht den Film allerdings auch weniger interessant für ein Publikum, das einen Inhalt ohne alles erklärende Dialoge nicht versteht. - Oder weil bestimmte Zuschauer in einer Vorstellung nicht von ihrem Smartphone die Finger lassen können.
Gerade ein Film ohne Sprache lädt zur Interpretation ein. Ich verfolge hier eine Lesart, es sind aber sicher auch weitere möglich. Übrigens: Wer glaubt, dass die Dinge hier random passieren, sollte zur eigenen Sicherheit nur noch Kaminfeuervideos auf Youtube schauen.
Die vordergründige Message des Films: man schafft die Widrigkeiten des Lebens nur als Gemeinschaft. Die Tiere stehen dabei für unterschiedliche Teile unserer Gesellschaft. Katze symbolisiert die eigenständigen Individualisten. Sie ist freiheitsliebend und unabhängig, will aber auch am liebsten für sich sein. Gesellschaft ist für sie Ballast. Das Capybara ist der entspannte und genügsame Teil der Reisegruppe und kommt mit jedem aus. Er ist der erste auf dem Boot und der Grund, warum überhaupt jemand anderes hinzukommen darf. Nur dank ihm wird überhaupt der Lemur vor seiner eigenen Verblendung gerettet. Capybara ist damit ein Stellvertreter für eine altruistische, stoische Gesinnung und der Kitt der Gemeinschaft.
Der Lemur wiederum ist egoistisch, raffgierig und auch ein wenig oberflächlich. Die Hunde wiederum decken eine größere Bandbreite von Persönlichkeiten ab. Nicht umsonst sind sie in einer Gruppe unterwegs. Von agggressiv bis lieb, treu und hilfsbereit ist alles dabei. Sie sind ein wenig der Stammtisch der Gruppe. Meinungsstark, aber wenn der Sekretär den Mund aufmacht, herrscht Ruhe.
Der Vogel hat auf dem Boot nämlich die meiste Zeit über das Sagen. Er ist quasi der Manager in der Nussschale und steht für eine Art Upper-Class. Diese ist jedoch sehr uneins. In einem Streit um Leben oder Tod der Katze wird der Sekretär von seinesgleichen gezielt verkrüppelt und verstoßen. Diese Form der Grausamkeit erinnert interessanterweise eher an das Verhalten von Menschen als das von Tieren. Im Laufe der Zeit, als man beginnt miteinander am gleichen Strang zu ziehen, emanzipieren sich die anderen auf dem Boot und der Sekretär verliert seine Stelle an der Spitze der Gemeinschaft. Man steuert nun zusammen über die wüste See. Der Sekretär sieht schließlich ein, dass man nun ohne ihn zurecht kommt und fliegt fort, um in einem Licht zu verschwinden. Ob Anführer schlicht überflüssig geworden sind oder er als eine Art Opfer endet, darüber bin ich mir selbst noch nicht im Klaren. Ich tendiere zu Ersterem. Jedenfalls bricht danach der Boden auf und die Flut verschwindet so schnell wie sie kam. Die Tiere können ihr Vehikel wieder verlassen.
Die Figuren lernen im Laufe der Handlung wie abhängig man im Grunde voneinander ist. Gesellschaft kann trotz aller Unterschiede nur durch gleichberechtigte Teilhabe aller an ihrer Gestaltung funktionieren. Verdeutlicht wird das Bild durch Spiegelungen. Immer wieder betrachten sich Katze und Lemur im Spiegel oder im Wasser. Sie schauen sich rätselnd selbst entgegen, als würden sie etwas suchen, können aber nicht erkennen, was im Bild fehlt. In der letzten Einstellung sitzt die Gemeinschaft zusammen und betrachtet sich endlich zum ersten Mal gemeinsam in einer spiegelnden Pfütze. Sie haben gefunden, von dem sie zu Beginn ihrer Reise nicht wussten, dass sie danach gesucht haben.
Der Film vertritt also eine zutiefst antilibertäre Haltung, zumal Besitz hier eher Ballast als Vorteil darstellt. Das alle rettende Boot ist der einzige Besitz, der Wert inne hat - und das gehört allen zusammen.
Zugleich liegt unter der Wasseroberfläche noch eine weitere Handlungsebene verborgen, die eine ökologische Botschaft und eine Warnung beinhaltet. Man könnte auf den ersten Blick annehmen, die Flut sei eine biblische Katastrophe, die die Gesellschaft der Tiere heimsucht, aber hier liegt keine alternative Arche Noah Story zugrunde.
Zum einen sind keine Menschen zu sehen, die Tierpaare zu retten suchen würden. Lediglich ihre Hinterlassenschaften in Form von Bauwerken und Skulpturen sind noch zu sehen. Dann taucht ohne erkennbare Ursache eine Flut auf, die die gesamte Welt zu verschlingen droht. Im Wasser lauert das einzige Fantasywesen des Films: ein monsterartiger Wal. Er ist jedoch keine bösartige Kreatur. Der Wal greift die Tiere nie direkt an oder begibt sich in ihre Nähe, um ihnen aktiv Schaden zuzufügen. Einmal hilft er sogar Katze vor dem Ertrinken zu retten. Doch seine pure Anwesenheit versprüht Gewalt, Aufruhr und Gefahr.
Als die Flut zurückgeht, strandet der Wal, um Luft ringend, im Wald. Katze geht zu ihm, reibt sich an ihm und Schnurrt zum ersten Mal im Film. Das zeigt eine gewisse Verbundenheit und wirkt als wolle sie ihm Trost spenden. Sein Leiden neigt sich dem Ende. Schließlich hört das Schnaufen des Wals auf. Ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen, akzeptiert Katze das Ende des vertrauten Monsters.
Der Wal steht symbolhaft für die Menschheit, die zwar mit der Natur verbunden ist, aber gleichzeitig eine immense Gefahr für sie darstellt. Die Flut ist die Konsequenz aus dem Handeln des Menschen. Zuerst schafft sich der Wal bzw der Mensch im Anthropozän eine Umgebung, in der er sich wohl fühlt. Eine Zeitlang geht dies für ihn auch gut. Dadurch zerstört er jedoch zusehends die Umwelt und bringt damit die Tiere um ihre Existenzgrundlage. Er vergisst darüber, dass auch er ein Tier ist und am Ende nicht über den Dingen stehen kann. Schließlich verendet er an den Folgen seines Handelns.
Der Mensch läuft also Gefahr sich selbst Zugrunde zu richten. Keine neue Erkenntnis, aber selten ist sie so schön verpackt worden, wie in Flow.
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